Mauthausen

Aspekte der KZ-Geschichte

Folgende Aspekte der KZ-Geschichte können auch für die Vor- und Nachbereitung des Gedenkstättenbesuchs besonders relevant sein.

Beziehungen zwischen Konzentrationslager und GesellschaftFoto: KZ-Gedenkstätte Mauthausen

Die weithin sichtbare Lage auf einem Hügel führt vor Augen, wie sehr die Konzentrationslager in die NS-Gesellschaft integriert waren. Die Existenz der Konzentrationslager wurde nicht verheimlicht, sondern war allgemein bekannt. Einzelheiten nahmen die in der Nähe Wohnenden oder Arbeitenden wahr. Menschen aus dem Ort Mauthausen konnten den Fußmarsch der Häftlinge vom Bahnhof zum Lager beobachten, Bewohner der nahen Bauernhäuser und Zivilarbeiter im Steinbruch wurden zu Zeugen von Verbrechen im Lager. Viele reagierten mit Zustimmung oder Gleichgültigkeit, andere mit Empörung, fast alle mit Schweigen.

Zwischen dem Lager und dem Umfeld gab es vielfältige wirtschaftliche, gesellige und private Beziehungen. Ein Blick auf die Karte mit dem Lager Gusen, das mit Mauthausen das Doppellager Mauthausen-Gusen bildete, und mit den über 40 Außenlagern von Mauthausen in weiten Teilen Österreichs gibt einen Eindruck von der engen räumlichen, wirtschaftlichen und sozialen Integration der Lager in die Gesellschaft. Die Menschen im Umkreis mussten sich entscheiden, welche Haltung sie dazu einnahmen und ob sie aus ihrer Mitwisserschaft eine Mitverantwortung ableiteten. Die „Mühlviertler Hasenjagd" Anfang Februar 1945 und die Todesmärsche der letzten Kriegswochen spielten sich in aller Öffentlichkeit ab.

Die Vielzahl unterschiedlicher Opfergruppen

An den Denkmälern im Denkmalpark und an den Gedenktafeln im inneren Lagerbereich sind die verschiedenen Opfergruppen ablesbar. Gegner des Nationalsozialismus aus den eroberten und besetzten Ländern (Polen, Tschechen, Franzosen, Spanier, Russen und viele andere), sowjetische Kriegsgefangene, Juden vor allem aus Holland, Polen und Ungarn, Sinti und Roma, österreichische und deutsche Widerstandskämpfer und Oppositionelle verschiedener politischer Couleur, soziale Randgruppen der Gesellschaft, Menschen mit Vorstrafen und Verurteilte aus den Gefängnissen, Zeugen Jehovas, Homosexuelle - sie alle, zumeist Männer, aber auch viele Frauen, Jugendliche und Kinder, wurden von der SS mit polizeilicher Willkür ins Konzentrationslager gebracht. Dort wurden sie in eine Häftlingshierarchie eingeordnet, die rassistischen Prinzipen gehorchte und von der zu erwartenden Arbeitskraft abhing.

Deutsche und Österreicher standen in der nationalen Rangordnung oben, Roma und Sinti sowie Juden ganz unten. Außerdem waren in dieser Hierarchie privilegierte Positionen für Funktionshäftlinge vorgesehen, was sich z. B. in der Raumaufteilung der Baracken widerspiegelt. War die Häftlingsgesellschaft von vornherein sprachlich, kulturell, religiös und politisch sehr heterogen, so unterband die diskriminierende Bewertung und Behandlung von Gruppen durch die SS ein gemeinsames Handeln der Häftlinge und war ein zentrales Herrschaftsinstrument im Lager.

Die Entwürdigung der Häftlinge

Durchgängiges Merkmal aller Lagersituationen ist der Versuch der Täter, die hier eingesperrten Menschen aus dem Geltungsbereich der Menschenwürde auszuschließen. Sowohl in den Augen der SS als auch in ihrer Selbstwahrnehmung sollten sich die Häftlinge kein Menschsein und kein Lebensrecht mehr zusprechen dürfen. Durch Abschneiden der Haare, Uniformierung, Reduktion auf Häftlingskategorie und Nummer, Entzug persönlicher Gegenstände, Hunger, körperliche und seelische Misshandlung, unberechenbare Gewaltausübung und ständige Todesdrohung wurden Identität und Selbstachtung vieler Häftlinge gebrochen. In ihrer äußeren Erscheinung wurden sie dem würdelosen Zustand gleichgemacht, den die Täter für sie voraussetzten.

Anhand von Stationen des Lageralltags, z. B. Ankunft, Haareschneiden im Duschraum, Zählappell, Verhältnisse in der Häftlingsbaracke, Lagerstrafen ist der Prozess der Entwürdigung zu verfolgen. Begleitet wurde er vom zynischen Sprachgebrauch der SS, der sich in Ausdrücken wie „Fallschirmspringer" (Häftlinge, die eine Felswand im Steinbruch hinuntergestoßen wurden), „Badeaktion" (Morde im Duschraum) oder „Hasenjagd" (Jagd auf Geflüchtete) niederschlug. Für die Täter beseitigte die ideologisch und sprachlich mobilisierte Entwürdigung der Opfer jede Hemmung der Gewalt.

Ausbeutung der Arbeitskraft und Vernichtung

Die Funktion der terroristischen Disziplinierung von Häftlingen verband sich im Konzentrationslager Mauthausen mit der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft für das entstehende Wirtschaftsimperium der SS, zunächst durch die Arbeit im Steinbruch, ab der Mitte des Krieges durch massiven Einsatz in der kriegswichtigen Produktion.

Die „Todesstiege" macht deutlich, wie Ausbeutung der Arbeitskraft für Gruppen, die in der aktuellen Lagerhierarchie ganz unten standen, gezielte Vernichtung durch Arbeit bedeutete. Die meisten Häftlinge sollten der SS vor ihrem allfälligen Tod noch größtmöglichen Nutzen bringen. Ab 1942/43 wurde die Arbeit für die Rüstungsindustrie (in den zahlreichen Außenlagern, allen voran in Gusen, Ebensee und Melk, wo auch Stollen gegraben wurden) zur zentralen Funktion des Lagers. Die Erhaltung der Arbeitskraft der Häftlinge war für das Regime nun wichtiger als zuvor, aber weiterhin galt, dass nicht arbeitsfähige Häftlinge jedwede Überlebenschance verloren. Zu Tausenden wurden sie im Mauthausener Sanitätslager separiert und dem Tod durch Hunger und Krankheiten preisgegeben, andere fielen Tötungsaktionen durch SS-Ärzte zum Opfer, die ihnen Herzinjektionen verabreichten, wurden bei Massenerschießungen „auf der Flucht" ermordet oder starben in der Gaskammer.

Für Häftlingsgruppen, die man ausdrücklich zum Zweck der Ermordung eingeliefert hatte (z. B. die holländischen Juden 1941/42, die verurteilten Kriminellen aus deutschen Gefängnissen 1942/43 und die sowjetischen „K-Häftlinge" 1944/45 im Block 20), hatte Mauthausen die Funktion eines Vernichtungslagers. Das Konzentrationslager war ein Ort, an dem die Verdinglichung der Menschen alle destruktiven Kräfte freisetzte: ökonomische Ausbeutung, sadistische Erniedrigung, Vernichtung.

Widerstand im Konzentrationslager

Unter Bedingungen der beabsichtigten psychischen und physischen Auslöschung weiter zu existieren, galt in den Augen der Täter bereits als Auflehnung. Umso schwieriger war es, gemeinsam mit anderen gegen das Funktionieren der SS-Herrschaft zu handeln. Das System der nationalen Diskriminierung und der bevorzugten Funktionshäftlinge schürte Gegnerschaft, Feindseligkeit und Bespitzelung. Widerstand begann daher nicht bei - meist undenkbarer - offener Gegenwehr, sondern beim Versuch, Persönlichkeit und moralische Integrität im Umgang mit anderen zu bewahren. Heimliche künstlerische, religiöse, politische Tätigkeiten dienten diesem Ziel. Innerhalb kleiner Gruppen oder entlang nationaler Solidarität wurde, etwa durch Nahrungs- oder Kleidergaben, Hilfe für andere geleistet. Verbotene Informationen, z. B. zum Kriegsverlauf, wurden weitergegeben, spanische Häftlinge schmuggelten SS-Fotos aus dem Lager.

Erst ab 1944 konnten sich im Konzentrationslager Mauthausen organisierte Formen des Widerstandes entwickeln, als Funktionärsposten zunehmend von politischen Häftlingen eingenommen wurden, vor allem in der Lagerschreibstube. So gelang es z. B., einzelne Häftlinge durch Identitätstausch mit Verstorbenen vor der drohenden Exekution zu retten. Die größte Widerstandsaktion in Mauthausen war der Massenausbruch ca. 500 sowjetischer Offiziere im Februar 1945 mit der nachfolgenden „Mühlviertler Hasenjagd"; nur von acht weiß man sicher, dass sie überlebten, einige dank mutiger Helferinnen und Helfer. In den letzten Tagen bildete sich ein internationales Häftlingskomitee, das die organisatorische Initiative für das Lager in der Zeit der Befreiung ergriff. Häftlinge brachten Dokumente vor der Spurenverwischung durch die SS in Sicherheit und überlieferten sie so der Nachwelt. Widerstand zeigte sich meist in kleinen, dennoch gefährlichen Handlungen und Gesten, die Menschen miteinander verbanden, selten in heroischen Taten. Und oft standen Häftlinge vor dem Dilemma, durch die Hilfe für den einen einem anderen zu schaden.

Das Leiden der Häftlinge und die "heile" Welt der Täter

Die Relikte des Konzentrationslagers Mauthausen spiegeln das unmittelbare Nebeneinander von Leidensorten der Opfer und einer banalen Alltagswelt der Täter: Direkt neben dem Sanitätslager, Sterbeort für Tausende, lag der Sportplatz der SS, kaum hundert Meter von den Krematoriumsöfen entfernt befand sich ein Schwimmbecken der SS, in der Nachbarschaft der Gedenkstätte stehen die adretten Doppelhäuser, die für die Familien der SS-Offiziere gebaut wurden. Was unvereinbar erscheint, waren die zwei zusammengehörigen Seiten der nationalsozialistisch definierten Welt.

Die Täter, deutsche, österreichische und „volksdeutsche" Angehörige der SS-Totenkopfverbände, lebten neben dem Mord im Lager als „normale", „zivilisierte" Menschen. Eine rassistisch deformierte Moral, die „kameradschaftliche" Erfahrung des Tötens, aber auch Karrierestreben legitimierten in ihren Augen, was sie taten. Sie wollten sich nicht als Verbrecher sehen, sondern als Kämpfer für das „große" Zukunftsprojekt einer von biologisch „schädlichen" und politisch „gefährlichen" Mitgliedern „gesäuberten" Gesellschaft. Menschen, die nicht in diesen Plan passten, stempelten sie zu „Untermenschen" ohne Lebensrecht, um ihnen das Leben nehmen zu können. Die Freizeiteinrichtungen und Wohnhäuser der SS sind Zeugnisse dieser Wahnvorstellung einer homogenen „heilen" Welt, die auf Verbrechen errichtet werden sollte.

Der "authentische" Ort und die Gedenkstätte

Menschen kommen in die Gedenkstätte, weil sie einen Ort bezeichnet, an dem nationalsozialistische Verbrechen geschehen sind. Obwohl mittlerweile das weit verzweigte Lagersystem Mauthausen stärker ins Bewusstsein gedrungen ist, auch an mehreren dieser Orte Gedenkstätten eingerichtet wurden, steht Mauthausen nach wie vor symbolisch für den Nationalsozialismus in Österreich. „Todesstiege", Gaskammer, Mauern und Türme prägen das Bild des Lagers. Doch von einigen der Todeszentren im Lager wie Sanitätslager und Zeltlager oder von den Lebensbereichen der Täter ist kaum mehr etwas zu sehen.

Bereits die SS demontierte Installationen der Gaskammer, um Spuren zu verwischen; nach der Befreiung nahmen Häftlinge Objekte als Beweisstücke mit in ihre Heimatländer, beseitigten die amerikanischen Befreier die Baracken des Sanitätslagers, entfernten die sowjetische Armee sowie die Bevölkerung der Umgebung Einrichtungen des Lagers und traf schließlich die Republik Österreich die Entscheidung, nur die Steingebäude und die Baracken direkt am Appellplatz für die Gedenkstätte zu erhalten.

Vielfach restauriert, bilden diese Relikte gemeinsam mit dem Steinbruch, den Friedhöfen, den nach und nach errichteten Denkmälern des Denkmalparks und Gedenktafeln sowie mit den Ausstellungen ein Ensemble, das zwar die Geschichte des Gedenkens seit 1945 abbildet, aber die Geschichte des Konzentrationslagers 1938 bis 1945 nur in Teilen wiedergibt. Man betritt an diesem Ort nicht das ehemalige Konzentrationslager, sondern die Gedenkstätte mit ihren bewusst gesetzten Erinnerungszeichen. Der Ort ist authentisch in dem Sinn, dass er seine „Aura" als wichtiger Schauplatz von Geschichte besitzt. Mannigfach verändert, erlaubt er doch die Rekonstruktion von Geschichte anhand der Spuren, die er bewahrt.

(Fotos: KZ-Gedenkstätte Mauthausen)